Das Volk weint und küßt die Erde, über die Er dahinschreitet. Die Kinder streuen Blumen vor Ihm auf den Weg, singen und rufen Ihm zu: ‘Hosianna! – Das ist Er, das ist Er selbst!’ sagen alle untereinander. ‘Das muß Er sein; das ist niemand anders als Er.’ Er bleibt am Portale des Domes von Sevilla stehen, gerade in dem Augenblick, als ein kleiner weißer Kindersarg unter Weinen und Wehklagen hereingetragen wird; darin liegt ein siebenjähriges Mädchen, die einzige Tochter eines angesehenen Bürgers.
Das tote Kind ist ganz in Blumen gebettet. ‘Er wird dein Kind auferwecken!’ ruft man der weinenden Mutter aus der Menge zu. Ein zum Dome gehöriger Pater, der, um den Sarg in Empfang zu nehmen, herauskommt, macht ein erstauntes Gesicht und zieht die Augenbrauen zusammen. Aber da ertönt das laute Schluchzen der Mutter des verstorbenen Kindes. Sie wirft sich Ihm zu Füßen.
‘Wenn du es bist, so erwecke mein Kind!’ ruft sie, indem sie die Hände nach Ihm ausstreckt. Der Zug bleibt stehen; der Sarg wird am Portale zu seinen Füßen niedergestellt. Er blickt voll Mitleid auf die kleine Leiche, und seine Lippen sprechen wiederum die Worte: ‘Talitha kumi! (Mägdlein, stehe auf!)’ Das Mädchen erhebt sich im Sarge, setzt sich aufrecht und blickt lächelnd mit erstaunten, weitgeöffneten Augen um sich. In den Händen hält es den Strauß von weißen Rosen, mit dem es im Sarge gelegen hat. Das Volk ist starr vor staunen, schreit und schluchzt; und siehe da, gerade in diesem Augenblicke geht plötzlich am Dome auf dem Platze der Kardinal-Großinquisitor selbst vorbei.
– Fjodor Dostojewskij, Der Großinquisitor